Dienstag, 14. April 2015

Erste Gedanken über den Sandmann

Erste Gedanken über den Sandmann

Bevor ich auf die Geschichte des Sandmannes eingehe, möchte ich kurz schildern, welche Wirkung diese Kurzgeschichte (schwarze Romantik) auf mich machte. Im Wesentlichen geht es um einen jungen Studenten namens Nathanael, der in seiner Kindheit mit der Beschreibung des Sandmannes als einen bösartigen Gesellen, der Kindern Sand in die Augen schüttet, so, dass sie bluten und aus dem Kopf fallen, von der Gouvernante eingeschüchtert wurde, um ihn ruhigzustellen. Dieses Kindheitserlebnis ließ in dem jungen Knaben derartig tiefe Spuren, die ihn bis in das Erwachsenenalter folgten und schlussendlich im Suizid endeten. Das Tragische an dieser Horrorerzählung ist meines Erachtens die Tatsache, dass im Grunde das Gute gewollt war aber das Böse erreicht wurde. Durch die übertrieben grausame Darstellung des Sandmannes sollte sichergestellt werden, dass Nathanael in seinem Bett und Zimmer blieb, um ihn vor der Gefahr einer möglichen Explosion durch alchemistische Experimente seines Vaters und des alten Advokaten Coppelius fernzuhalten. Da Wirklichkeit und Wahn in dieser Kurzgeschichte verschwimmen und dazu der Leser selbst noch über Realität und Traum im Unklaren gelassen wird, bleibt viel Spielraum für persönliche Interpretationen offen. Vergleicht man den Sandmann mit Märchengeschichten, so kann man einige Gemeinsamkeiten entdecken.

Der Sandmann verglichen mit Geschichten aus dem Struwwelpeter (von Heinrich Hoffmann)

Der Frankfurter Arzt und Psychiater Heinrich Hoffmann (1809-1894) wollte seinem kleinen Sohn ein Bilderbuch zu Weihnachten schenken, das zugleich auch pädagogische Zwecke erfüllen sollte. Da zu dieser Zeit auf dem Markt doch kein derartiges Buch vorhanden war, entschloss sich Hoffmann selbst eins zu schreiben und selbst zu illustrieren. Dieses Buch sollte auf sein Kind erzieherische Wirkung ausüben und ihn vor möglichem Schaden fernzuhalten. Dieses Buch enthält mehrere kleine Geschichten, die teilweise in Reimen geschrieben wurden.   Liest man diese Geschichten, so fällt einem sofort die außerordentliche Brutalität auf. Von schwersten Verletzungen über Verstümmelungen bis hin zum Tod der Protagonisten ist alles vorhanden. Ähnlich wie im Sandmann, wo die Hauptperson Nathanael am Ende Selbstmord begeht, enden einige Geschichten Hoffmanns ebenso dramatisch, zum Beispiel Der Suppenkasper oder Das arme Paulinchen. Solche Erzählungen, kombiniert mit den detaillierten Illustrationen, können bei der kleinen Leserschaft bleibende Eindrücke hinterlassen. Als Vergleich und Beispiel möchte ich an dieser Stelle den Daumenlutscher anführen. Diese Erzählung handelt von einem Jungen, der fortwährend seinen Daumen im Mund hatte. Sollte er nicht damit aufhören, käme der Schneider und schneidet ihm die Daumen mit der großen Schere ab. Da alle Kinder in Hoffmanns Erzählungen nicht brav sind und nicht auf ihre Eltern hören, widerfährt allen auch ein grausames Unheil. So verlor der Junge seine beiden Daumen.
Bemerkenswert ist, dass Der Struwwelpeter von einem Arzt und Psychiater verfasst wurde, wo man im Allgemeinen annehmen müsste, dass er selbst wüsste, welche Wirkung ein solches Szenario auf ein kleines Kind hat.
Hier, wie im Sandmann, sollen mit besten Wissen und Gewissen meiner Meinung nach Gefahren von Kindern abgewehrt werden, jedoch wird dabei der seelische Schaden total außer Acht gelassen, den diese Schrecklichkeiten anrichten können.
 

Das Augenmotiv im Sandmann

Im Sandmann kehren ab und zu verschiedene Motive wieder, wie zum Beispiel die "Augen". Diese Funktion versuche ich nun zu interpretieren. In der Zeit der Romantik spielten die Augen meistens eine wichtige Rolle in verschiedenen Werken. Sie dienten ausschließlich zum Ausdruck des Dämonischen. http://lehrerfortbildung-bw.de/faecher/deutsch/projekte/epik/sandmann/04_motive/
In der Kurzgeschichte spielen die Augen eine zentrale Rolle. Wie im positivem als auch im negativem Sinne werden sie in den verschiedensten Situationen erwähnt. Nathanael möchte als kleiner Junge erfahren, wie der Sandmann eigentlich aussieht. Das Kindermädchen seiner kleinen Schwester erzählt ihm, dass es ein Ungeheuer wäre, der den unartigen Kindern, die nicht zu Bette gehen wollen, Sand in die Augen streut ,so, dass sie anfangen zu bluten und schließlich brutal aus dem Kopf herausspringen. Die Augen werden dann zum Halbmond gebracht, wo die "Kinderchen" des bösen Sandmanns mit krummen Schnäbel die Augen aufpicken.
Seit diesem Zeitpunkt bekommt der kleine Nathanael natürlich furchtbare Angst. Seine Furcht wir dennoch größer, als er erfährt, daß der als einen Monster und Ungeheuer beschriebene Sandmann der alte Advokat Coppelius ist. Während Nathanael aus seinem kleinen Versteck Coppelius und seinem Vater dabei zuschaute, wie sie alchemistische Experimente durchführten und er dabei ertappt wurde, drohte Coppelius ihm die Augen auszureißen: "Nun haben wir Augen, Augen - ein schön Paar Kinderaugen". Auch hier ist es fraglich, ob Coppelius den kleinen Nathanael wirklich gepackt hatte und ihm gesagt hatte, er reiße ihm die Augen aus. In Nathanaels Schilderung wird nicht ganz klar, ob es ein Albtraum war oder die Tatsache, dass Coppelius ihm wirklich die Augen ausreißt.
Auch Coppola tritt als ein Optiker auf in einem Bereich, der sich mit den Augen beschäftigt. Nathanael fürchtet ihn, weil er beinahe identlisch mit dem Coppelius ist, kauft ihm schließlich doch noch ein Fernglas ab. Für Nathanael ist Coppola ein Doppelgänger des Coppelius. http://www.grin.com/de/e-book/126109/die-bedeutung-der-augen-in-e-t-a-hoffmanns-der-sandmann. Sie haben nach seiner Meinung nach die gleiche Stellung, das gleiche Aussehen und das Grauen alleine scheint von den beiden zu exhalieren.
Auch das Glas, durch das Nathanael durchschaut, ist ein wichtiger Punkt. Immer wenn er durch das Perspektiv blickt, werden seine Perspektive vom Wahn verstellt. Er sieht die wunderschöne Olimpia, die in Wirklichkeit nur eine Holzpuppe ist. Auch die Augen von Olimpia werden genau beschrieben. Nathanael bewundert sie mit Leib und Seele und liebt ihre "echten" Augen, die glasig in die Ferne schauten. Professor Spalanzani hat sie zusammen mit dem Coppola gebaut. Offensichtlich hat Spalanzani die Mechanik und Coppola die Augen der Puppe hergestellt. Es ist wie eine Wiederspiegelung von Nathanaels Kindheit. Er hatte sich wohl daran erinnert, wie sein Vater und der Advokat Coppelius zusammen gefährliche Experimente mit dem menschlichen Leben durchgeführt haben und später bemerkt Nathanael, dass das gleiche auch bei der Olimpia geschehen war. Sie ist ein künstliches Artefakt, ein "Automat", weit weg von einem Menschen aus Fleisch und Blut.
Das Augenmotiv begleitet die komplette Kurzgeschichte, von Anfang an bis zum Ende. Es hat bis zu dem Tod Nathanaels wichtige Bedeutung.

Was uns dieses Buch heute noch angeht?

In dem Sandmann werden Motive und verschiedene Themen behandelt wie Romantik, Alchemie, Wahnvorstellungen, Kindheitstrauma u. Ä.. Themen, die viele von uns heute noch angehen und bewegen. Sie sind sehr aktuell. Nathanael ist ein Träumer, der an einem in der Kindheit erlebten Trauma zusammenbricht und zu Grunde geht.  Es ist daher an uns aus dem Gelesenen unsere eigenen Schlüssel zu ziehen. Mit Sicherheit wird sich nicht jeder Mensch nach dem in der Geschichte beschriebenen Ereignis im Endeffekt das Leben nehmen.

Man sollte daraus jedoch die Lehre ziehen, mit der Macht des Wortes als Druckmittel sorgsam umzugehen, da man letzten Endes niemals in die Gedanken- und Gefühlswelt seines Gegenübers sehen kann.    

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