Erste Gedanken über den Sandmann
Bevor ich auf die Geschichte des Sandmannes
eingehe, möchte ich kurz schildern, welche Wirkung diese Kurzgeschichte
(schwarze Romantik) auf mich machte. Im Wesentlichen geht es um einen jungen
Studenten namens Nathanael, der in seiner Kindheit mit der Beschreibung des
Sandmannes als einen bösartigen Gesellen, der Kindern Sand in die Augen
schüttet, so, dass sie bluten und aus dem Kopf fallen, von der Gouvernante
eingeschüchtert wurde, um ihn ruhigzustellen. Dieses Kindheitserlebnis ließ in
dem jungen Knaben derartig tiefe Spuren, die ihn bis in das Erwachsenenalter
folgten und schlussendlich im Suizid endeten. Das Tragische an dieser
Horrorerzählung ist meines Erachtens die Tatsache, dass im Grunde das Gute
gewollt war aber das Böse erreicht wurde. Durch die übertrieben grausame
Darstellung des Sandmannes sollte sichergestellt werden, dass Nathanael in
seinem Bett und Zimmer blieb, um ihn vor der Gefahr einer möglichen Explosion
durch alchemistische Experimente seines Vaters und des alten Advokaten
Coppelius fernzuhalten. Da Wirklichkeit und Wahn in dieser Kurzgeschichte
verschwimmen und dazu der Leser selbst noch über Realität und Traum im Unklaren
gelassen wird, bleibt viel Spielraum für persönliche Interpretationen offen.
Vergleicht man den Sandmann mit
Märchengeschichten, so kann man einige Gemeinsamkeiten entdecken.
Der Sandmann verglichen mit
Geschichten aus dem Struwwelpeter
(von Heinrich Hoffmann)
Der Frankfurter Arzt und Psychiater Heinrich Hoffmann (1809-1894) wollte
seinem kleinen Sohn ein Bilderbuch zu Weihnachten schenken, das zugleich auch
pädagogische Zwecke erfüllen sollte. Da zu dieser Zeit auf dem Markt doch kein
derartiges Buch vorhanden war, entschloss sich Hoffmann selbst eins zu
schreiben und selbst zu illustrieren. Dieses Buch sollte auf sein Kind
erzieherische Wirkung ausüben und ihn vor möglichem Schaden fernzuhalten.
Dieses Buch enthält mehrere kleine Geschichten, die teilweise in Reimen
geschrieben wurden. Liest man diese
Geschichten, so fällt einem sofort die außerordentliche Brutalität auf. Von
schwersten Verletzungen über Verstümmelungen bis hin zum Tod der Protagonisten
ist alles vorhanden. Ähnlich wie im Sandmann,
wo die Hauptperson Nathanael am Ende Selbstmord begeht, enden einige
Geschichten Hoffmanns ebenso dramatisch, zum Beispiel Der Suppenkasper oder Das
arme Paulinchen. Solche Erzählungen, kombiniert mit den detaillierten
Illustrationen, können bei der kleinen Leserschaft bleibende Eindrücke
hinterlassen. Als Vergleich und Beispiel möchte ich an dieser Stelle den Daumenlutscher anführen. Diese Erzählung
handelt von einem Jungen, der fortwährend seinen Daumen im Mund hatte. Sollte
er nicht damit aufhören, käme der Schneider und schneidet ihm die Daumen mit
der großen Schere ab. Da alle Kinder in Hoffmanns Erzählungen nicht brav sind
und nicht auf ihre Eltern hören, widerfährt allen auch ein grausames Unheil. So
verlor der Junge seine beiden Daumen.
Bemerkenswert ist, dass Der
Struwwelpeter von einem Arzt und Psychiater verfasst wurde, wo man im
Allgemeinen annehmen müsste, dass er selbst wüsste, welche Wirkung ein solches
Szenario auf ein kleines Kind hat.
Hier, wie im Sandmann, sollen mit
besten Wissen und Gewissen meiner Meinung nach Gefahren von Kindern abgewehrt
werden, jedoch wird dabei der seelische Schaden total außer Acht gelassen, den
diese Schrecklichkeiten anrichten können.

Das Augenmotiv im Sandmann
Im Sandmann kehren ab und zu
verschiedene Motive wieder, wie zum Beispiel die "Augen". Diese
Funktion versuche ich nun zu interpretieren. In der Zeit der Romantik spielten
die Augen meistens eine wichtige Rolle in verschiedenen Werken. Sie dienten
ausschließlich zum Ausdruck des Dämonischen. http://lehrerfortbildung-bw.de/faecher/deutsch/projekte/epik/sandmann/04_motive/
In der Kurzgeschichte spielen die Augen eine zentrale Rolle. Wie im
positivem als auch im negativem Sinne werden sie in den verschiedensten
Situationen erwähnt. Nathanael möchte als kleiner Junge erfahren, wie der
Sandmann eigentlich aussieht. Das Kindermädchen seiner kleinen Schwester
erzählt ihm, dass es ein Ungeheuer wäre, der den unartigen Kindern, die nicht
zu Bette gehen wollen, Sand in die Augen streut ,so, dass sie anfangen zu
bluten und schließlich brutal aus dem Kopf herausspringen. Die Augen werden
dann zum Halbmond gebracht, wo die "Kinderchen" des bösen Sandmanns
mit krummen Schnäbel die Augen aufpicken.
Seit diesem Zeitpunkt bekommt der kleine Nathanael natürlich furchtbare
Angst. Seine Furcht wir dennoch größer, als er erfährt, daß der als einen
Monster und Ungeheuer beschriebene Sandmann der alte Advokat Coppelius ist.
Während Nathanael aus seinem kleinen Versteck Coppelius und seinem Vater dabei
zuschaute, wie sie alchemistische Experimente durchführten und er dabei ertappt
wurde, drohte Coppelius ihm die Augen auszureißen: "Nun haben wir Augen,
Augen - ein schön Paar Kinderaugen". Auch hier ist es fraglich, ob
Coppelius den kleinen Nathanael wirklich gepackt hatte und ihm gesagt hatte, er
reiße ihm die Augen aus. In Nathanaels Schilderung wird nicht ganz klar, ob es
ein Albtraum war oder die Tatsache, dass Coppelius ihm wirklich die Augen
ausreißt.
Auch Coppola tritt als ein Optiker auf in einem Bereich, der sich mit den
Augen beschäftigt. Nathanael fürchtet ihn, weil er beinahe identlisch mit dem
Coppelius ist, kauft ihm schließlich doch noch ein Fernglas ab. Für Nathanael
ist Coppola ein Doppelgänger des Coppelius. http://www.grin.com/de/e-book/126109/die-bedeutung-der-augen-in-e-t-a-hoffmanns-der-sandmann. Sie haben nach
seiner Meinung nach die gleiche Stellung, das gleiche Aussehen und das Grauen
alleine scheint von den beiden zu exhalieren.
Auch das Glas, durch das Nathanael durchschaut, ist ein wichtiger Punkt.
Immer wenn er durch das Perspektiv blickt, werden seine Perspektive vom Wahn
verstellt. Er sieht die wunderschöne Olimpia, die in Wirklichkeit nur eine
Holzpuppe ist. Auch die Augen von Olimpia werden genau beschrieben. Nathanael
bewundert sie mit Leib und Seele und liebt ihre "echten" Augen, die
glasig in die Ferne schauten. Professor Spalanzani hat sie zusammen mit dem
Coppola gebaut. Offensichtlich hat Spalanzani die Mechanik und Coppola die
Augen der Puppe hergestellt. Es ist wie eine Wiederspiegelung von Nathanaels Kindheit.
Er hatte sich wohl daran erinnert, wie sein Vater und der Advokat Coppelius
zusammen gefährliche Experimente mit dem menschlichen Leben durchgeführt haben
und später bemerkt Nathanael, dass das gleiche auch bei der Olimpia geschehen
war. Sie ist ein künstliches Artefakt, ein "Automat", weit weg von
einem Menschen aus Fleisch und Blut.
Das Augenmotiv begleitet die komplette Kurzgeschichte, von Anfang an bis
zum Ende. Es hat bis zu dem Tod Nathanaels wichtige Bedeutung.
Was uns dieses Buch heute noch angeht?
In dem Sandmann werden Motive und
verschiedene Themen behandelt wie Romantik, Alchemie, Wahnvorstellungen,
Kindheitstrauma u. Ä.. Themen, die viele von uns heute noch angehen und
bewegen. Sie sind sehr aktuell. Nathanael ist ein Träumer, der an einem in der
Kindheit erlebten Trauma zusammenbricht und zu Grunde geht. Es ist daher an uns aus dem Gelesenen unsere
eigenen Schlüssel zu ziehen. Mit Sicherheit wird sich nicht jeder Mensch nach
dem in der Geschichte beschriebenen Ereignis im Endeffekt das Leben nehmen.
Man sollte daraus jedoch die Lehre ziehen, mit der Macht des Wortes als
Druckmittel sorgsam umzugehen, da man letzten Endes niemals in die Gedanken-
und Gefühlswelt seines Gegenübers sehen kann.
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