Dienstag, 21. April 2015

Die Darstellung der Frauenfiguren in E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“

Die Darstellung der Frauenfiguren in E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“


Der Sandmann wurde in einer Zeit geschrieben, welche durch die Abwendung von der Rationalität der Aufklärung und der Hinwendung zur Phantastik der Romantik charakterisiert werden kann. Diese Tendenz lässt sich auch deutlich im Sandmann erkennen. Hier werden die nüchterne Weltanschauung der Aufklärung und die sinnliche Subjektivität der Romantik in den unterschiedlichen Figuren repräsentiert.
Während Clara sich mit ihrem ruhigen, besonnenen Gemüt um eine Abgrenzung zu allem Übernatürlichen bemüht, sucht Nathanael ebendieses bewusst durch das Studium diverser literarischer Werke auf. Dabei ruft Claras Passivität in Bezug auf die Thematik der Phantastik Verärgerung in ihm hervor, wünscht er sich doch, dass die Geliebte Begeisterung für die gleichen Interessen verspüre. Nathanael widersetzt sich der Erkenntnis, dass Clara nicht bereit ist die übernatürlichen Träumereien ernst zu nehmen, glaubt er doch, dass sich „solche tiefe Geheimnisse“ nur den „kalten unempfänglichen Gemütern verschließen“, zu welchen er Clara nicht zählen möchte.[1] Er kritisiert ihre nüchterne Denkweise und schenkt ihren logischen Argumentationen nur widerwillig Anerkennung. Wird ihr Verstand von anderen und zeitweise auch von ihm gelobt, so ist es ihm meist unangenehm Ratschläge von ihr anzunehmen. Er fordert sogar ihren Bruder auf, ihr in Zukunft keine „logische Kollegia“ mehr vorzulesen, um ihr Bildung zu fördern, sodass sie nicht weiterhin „tiefsinnig philosophisch […] sichten und sondern“ könne.
In Clara ist also eine verständige Frauenfigur mit eigener Meinung und Denkweise zu finden, welche auch bereit ist diese zu verteidigen. Gleichzeitig werden diese Charakterzüge jedoch vom Protagonisten kritisiert, sodass schnell deutlich wird, dass dies Eigenschaften sind, welche in dieser Gesellschaft an Frauen zwar akzeptiert, doch nicht auch automatisch toleriert werden.
Die zweite im Fokus stehende Frauenfigur, Olimpia, scheint dagegen, zumindest für Nathanael, das perfekte Frauenbild zu repräsentieren.  Als Automat ist sie weder zu Argumentationen noch zu Widersprüchen fähig. Von ihr fühlt er sich verstanden und lobt sie als „gute Zuhörerin“. Wirkt sie auch anfangs etwas steif und emotionslos auf ihn, so werden diese Mängel schnell von seiner Phantasie behoben und, da sie nicht in der Lage ist diese Phantasie zu zerstören, kann sie doch nur „Ach, Ach!“ und „Gute Nacht, mein Lieber!“ sagen, steigert er sich immer mehr in seine Phantasie der perfekten Frau hinein. Die Erkenntnis, dass es sich bei ihr um einen Automaten handelt, treibt ihn schließlich endgültig in den Wahnsinn.
Die anderen Männer der Gesellschaft nehmen durchaus wahr, dass etwas an Olimpia ungewöhnlich ist, doch was ihnen auffällt ist ihre steife Art sich zu Bewegen und ihr schriller Gesang, nicht jedoch ihr nicht vorhandener Verstand. Als sie erfahren, dass Olimpia tatsächlich eine Holzpuppe ist, erwacht Misstrauen ihren eigenen Frauen gegenüber in ihnen. Sie verlangen nun, „ …daß die Geliebte etwas taktlos singe und tanze, daß sie beim Vorlesen sticke, stricke, mit dem Möpschen spiele usw. vor allen Dingen aber, daß sie nicht bloß höre, sondern auch manchmal in der Art spreche, daß dies Sprechen wirklich ein Denken und Empfinden voraussetze.“ Nun also wandelt sich das Gesellschaftsbild der Frau.
Diese auf die Spitze getriebene Darstellung einer gefügigen Frauenfigur, welche aufgrund ihres Mangelnden Verstandes vom Protagonisten zur Perfektion erhoben wird, ist ein humorvoller Kommentar über das Frauenbild der Gesellschaft. Auch darin, dass die übrigen Männer Zweifel gegenüber ihren eigenen Frauen zu hegen beginnen, lassen sich humoristische Aspekte finden. Natürlich handelt es sich hierbei um eine überzogene Reaktion, doch wird dadurch deutlich, wie wenig den Frauen zugetraut wurde.
In unserer heutigen Gesellschaft welche die emanzipierte Frau als Selbstverständlichkeit wahrnimmt, könnte eine solche Verwechslung vermutlich kaum stattfinden. Doch auch heute noch ist Gleichberechtigung und Feminismus ein großes Thema. Durch die Lektüre von Texten, in welchen andere Verhältnisse herrschen, können wir uns andere Sichtweisen vor Augen führen und erkennen, was in unserer Gesellschaft bereits erreicht wurde und den Text als Denkanstoß dazu sehen, sich Gedanken darüber zu machen was wir noch verändern können.        



[1] Alle Zitate aus „Der Sandmann“ werden aus dieser Quelle zitiert: http://gutenberg.spiegel.de/buch/der-sandmann-3093/1  

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