Die Darstellung der Frauenfiguren in E.T.A.
Hoffmanns „Der Sandmann“
Der Sandmann wurde in einer Zeit
geschrieben, welche durch die Abwendung von der Rationalität der Aufklärung und
der Hinwendung zur Phantastik der Romantik charakterisiert werden kann. Diese
Tendenz lässt sich auch deutlich im Sandmann erkennen. Hier werden die
nüchterne Weltanschauung der Aufklärung und die sinnliche Subjektivität der
Romantik in den unterschiedlichen Figuren repräsentiert.
Während Clara sich mit ihrem ruhigen, besonnenen
Gemüt um eine Abgrenzung zu allem Übernatürlichen bemüht, sucht Nathanael
ebendieses bewusst durch das Studium diverser literarischer Werke auf. Dabei
ruft Claras Passivität in Bezug auf die Thematik der Phantastik Verärgerung in
ihm hervor, wünscht er sich doch, dass die Geliebte Begeisterung für die
gleichen Interessen verspüre. Nathanael widersetzt sich der Erkenntnis, dass
Clara nicht bereit ist die übernatürlichen Träumereien ernst zu nehmen, glaubt
er doch, dass sich „solche tiefe Geheimnisse“ nur den „kalten unempfänglichen
Gemütern verschließen“, zu welchen er Clara nicht zählen möchte. Er kritisiert ihre nüchterne
Denkweise und schenkt ihren logischen Argumentationen nur widerwillig
Anerkennung. Wird ihr Verstand von anderen und zeitweise auch von ihm gelobt,
so ist es ihm meist unangenehm Ratschläge von ihr anzunehmen. Er fordert sogar
ihren Bruder auf, ihr in Zukunft keine „logische Kollegia“ mehr vorzulesen, um
ihr Bildung zu fördern, sodass sie nicht weiterhin „tiefsinnig philosophisch […]
sichten und sondern“ könne.
In Clara ist also eine verständige
Frauenfigur mit eigener Meinung und Denkweise zu finden, welche auch bereit ist
diese zu verteidigen. Gleichzeitig werden diese Charakterzüge jedoch vom
Protagonisten kritisiert, sodass schnell deutlich wird, dass dies Eigenschaften
sind, welche in dieser Gesellschaft an Frauen zwar akzeptiert, doch nicht auch
automatisch toleriert werden.
Die zweite im Fokus
stehende Frauenfigur, Olimpia, scheint dagegen, zumindest für Nathanael, das
perfekte Frauenbild zu repräsentieren. Als
Automat ist sie weder zu Argumentationen noch zu Widersprüchen fähig. Von ihr
fühlt er sich verstanden und lobt sie als „gute Zuhörerin“. Wirkt sie auch
anfangs etwas steif und emotionslos auf ihn, so werden diese Mängel schnell von
seiner Phantasie behoben und, da sie nicht in der Lage ist diese Phantasie zu
zerstören, kann sie doch nur „Ach, Ach!“ und „Gute Nacht, mein Lieber!“ sagen,
steigert er sich immer mehr in seine Phantasie der perfekten Frau hinein. Die
Erkenntnis, dass es sich bei ihr um einen Automaten handelt, treibt ihn
schließlich endgültig in den Wahnsinn.
Die anderen Männer der Gesellschaft nehmen
durchaus wahr, dass etwas an Olimpia ungewöhnlich ist, doch was ihnen auffällt
ist ihre steife Art sich zu Bewegen und ihr schriller Gesang, nicht jedoch ihr
nicht vorhandener Verstand. Als sie erfahren, dass Olimpia tatsächlich eine
Holzpuppe ist, erwacht Misstrauen ihren eigenen Frauen gegenüber in ihnen. Sie
verlangen nun, „ …daß die Geliebte
etwas taktlos singe und tanze, daß sie beim Vorlesen sticke, stricke, mit dem
Möpschen spiele usw. vor allen Dingen aber, daß sie nicht bloß höre, sondern
auch manchmal in der Art spreche, daß dies Sprechen wirklich ein Denken und
Empfinden voraussetze.“ Nun also wandelt sich das Gesellschaftsbild der Frau.
Diese auf die Spitze getriebene
Darstellung einer gefügigen Frauenfigur, welche aufgrund ihres Mangelnden
Verstandes vom Protagonisten zur Perfektion erhoben wird, ist ein humorvoller
Kommentar über das Frauenbild der Gesellschaft. Auch darin, dass die übrigen
Männer Zweifel gegenüber ihren eigenen Frauen zu hegen beginnen, lassen sich
humoristische Aspekte finden. Natürlich handelt es sich hierbei um eine
überzogene Reaktion, doch wird dadurch deutlich, wie wenig den Frauen zugetraut
wurde.
In unserer heutigen Gesellschaft welche
die emanzipierte Frau als Selbstverständlichkeit wahrnimmt, könnte eine solche
Verwechslung vermutlich kaum stattfinden. Doch auch heute noch ist
Gleichberechtigung und Feminismus ein großes Thema. Durch die Lektüre von Texten,
in welchen andere Verhältnisse herrschen, können wir uns andere Sichtweisen vor
Augen führen und erkennen, was in unserer Gesellschaft bereits erreicht wurde
und den Text als Denkanstoß dazu sehen, sich Gedanken darüber zu machen was wir
noch verändern können.